Plötzlich war er da. Wenn wir zum Abendbrot auf der hinteren
Terrasse saßen, kam er langsam mit seinem stahlblauen Borgward durch die
enge Einfahrt, fuhr zu den Garagen nach
hinten, stieg aus, öffnete die Tür der von ihm gemieteten Box, stieg wieder ins
Auto, fuhr hinein, kam wieder heraus und schloss umständlich ab. Während er den
langen Weg zum Tor der Einfahrt zurück ging, schaute er manchmal nach oben.
Wann war es, dass er uns bemerkte?
Meine Cousine und ich woben einen Mantel von Geheimnissen um
ihn. Er war immer braun gebrannt. In seinem vollen schwarzen Haar schimmerten
ein paar Silberfäden, das fanden wir aufregend. Vom Kramladen gegenüber wussten
wir, dass er irgendwas mit Film zu tun hatte, vor allem, dass er ganz in der Nähe
wohnte, nur eine Ecke weiter.
Sah er nicht aus wie ein Filmschauspieler? War er nicht Willy
Birgel wie aus dem Gesicht geschnitten?
Wann war es, dass er anfing, manchmal zu uns herauf zu
lächeln? Wie konnte er nur so leuchtend blaue Augen haben! Durch Zufall fand
ich heraus, wer seine Frau war. Im Laden gegenüber ging sie manchmal einkaufen.
Sie war hübsch. Ich will aussehen wie sie, dachte ich. Sie war die erste
geschminkte Frau, die ich bewusst wahrnahm. Noch heute sehe ich die Bögen ihrer
Augenbrauen vor mir. Und wie teuer sie immer angezogen war – nur zum Einkaufen
von Brot und Butter und Käse. Einmal sah ich ihren kleinen Sohn. Er spielte auf
der Straße. Er war erst fünf Jahre alt und ich fühlte mich mit meinen zwölf
sehr erwachsen. Sah ich nicht wirklich ein bisschen älter aus?
Es war leicht, mit dem Kleinen ins Gespräch zu kommen. Ich
lud ihn ein, auf dem Gepäckträger meines Fahrrads mit mir zu fahren. Allerdings
– es war gar nicht mein eigenes Rad, nur irgend so ein altes, das man mir
geliehen hatte, damit ich die Zeitschriften austragen und mir ein bisschen Geld
verdienen konnte. Ich fuhr nicht so sicher darauf – bei uns bekam man immer
erst zur Konfirmation sein erstes eigenes Fahrrad. Vor allem wusste ich nicht,
wie man Kinder dazu bringt, ruhig hinten drauf zu sitzen, ohne mit den Beinen
zu wackeln. Wir alle kannten die Gefahr und hielten still, wenn wir so
mitgenommen wurden. Aber der Kleine zappelte herum und war verwöhnt. Er
gehorchte nicht, wenn ich ihm befahl, die Beine von den Speichen weg zu halten.
Und dann wars plötzlich geschehen – ein Fuß blieb hängen, das Rad stoppte, wir
fielen hin, das Kind schrie wie am Spieß und zu allem Unglück kam auch noch die
Mutter in diesem Augenblick um die Ecke. Es war nichts passiert, aber der
Schreck war groß und sie schimpfte mich so sehr, dass sie auf einmal gar nicht
mehr schön aussah. Ich machte mich aus dem Staub.
Hoffentlich sagt sie ihm das nicht, dachte ich und vergaß,
dass sie gar nicht wusste, in welches Haus ich gehörte.
Er kam wie immer und eines Tages bildete ich mir ein, er
hätte mir ein ganz klein wenig gewinkt, so als ob ich runterkommen sollte.
Konnte das wirklich sein? Meinte er nicht vielleicht meine hübsche
dunkelhaarige Cousine, die aber an diesem Tag gar nicht da war? Ich überlegte lange
und blieb voller Zweifel oben. Ich hatte mich sicher getäuscht.
Ein paar Tage vergingen. Wieder war Ingrid anderswo und der
Borgwardmann kam in seine Garage. Diesmal sah ich es genau: Er winkte. Weil es
noch nicht ganz Abendbrotzeit war, schlich ich mich auf die Treppe und auf die
Straße zur Einfahrt. Vielleicht wollte er mir etwas für den Onkel sagen? Aber
überhaupt mit ihm zu reden, war aufregend genug. Gleich würde ich es Ingrid
erzählen, wenn sie käme.
Er lächelte mich an und blieb stehen, als sei er gar nicht
überrascht. Dann sagte er plötzlich: Du hast mir so nett gewinkt, vielleicht
möchtest du mal Kuchen essen mit mir gehen? Wir könnten mit meinem Auto in ein
Café fahren….
Ich konnte meinen Ohren kaum trauen. Natürlich würde ich
Mutti fragen und natürlich würde sie so etwas nicht erlauben – sie kannte ihn
ja gar nicht – nur aus unseren Erzählungen, zu denen sie immer nur lächelte.
Aber ein Wunder geschah: sie fragte meinen Onkel, ob man das erlauben könne und
der sagte rätselhafterweise, obwohl er nie mit dem Mann gesprochen hatte: des
isch ‚n ordentlicher Mann, des kannsch ruhig erlauben.
Wenige Tage später saß ich in diesem Traum-Auto und wir
fuhren in ein Café irgendwo außerhalb. Den Kuchen habe ich vergessen, auch, was
ich trank. Auch was wir redeten. Ich erinnere nur, dass er erklärte, sein Beruf
sei es, die großen Filmplakate an den Kinos außen herzustellen. Ich versank in
Bewunderung.
Aber auch die schönste Kuchenrunde geht einmal zu Ende. Wir
saßen wieder im Auto und fuhren durch einen Wald. Plötzlich bog der
Borgwardmann in einen kleinen Seitenweg und hielt den Wagen an. Ich schaute
mich um: Da war nichts als Bäume. Was sollten wir hier? Er schwieg und sah
geradeaus. Plötzlich schob sich seine rechte Hand zu mir hinüber und legte sich
auf meine. Er fing an, mich zu streicheln. Ich sah entsetzt die schwarzen Haare
auf seinem Handrücken und auf jedem einzelnen Finger und ekelte mich plötzlich.
Was wollte diese fette schwarze haarige Hand von mir, die hatte doch nichts bei
mir zu suchen. Auf einmal hörte ich auch seinen Atem, der mir vorher gar nicht
aufgefallen war. Es klang, als bekäme er nicht richtig Luft. Irgendetwas war
nicht richtig, aber ich wusste nicht, was. Ich spürte nur, dass ich etwas tun
musste, sonst würde diese Hand sich weiter bewegen und dann würde ich schreien
und niemand würde es hören.
Mein Blick fiel auf seine andere Hand. Sie lag auf dem
Lenkrad und am Ringfinger blinkte ein goldener Ehering. Das Bild des Kindes
stieg plötzlich vor mir auf und seine geschminkte Mutter. Bevor ich mich zu
irgendetwas bewusst entschließen konnte, hörte ich mich mit spröder Stimme
fragen: WEIß EIGENTLICH IHRE FRAU, DASS SIE HIER IM WALD MIT MIR SITZEN?
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